Jetzt getestet: Neue Multimediabibliothek Leyo mit App

Einige haben schon gespannt darauf gewartet: Die vielversprechend angekündigte neue Multimediabibliothek Leyo vom Carlsen-Verlag (s. unsere Ankündigung hier: http://www.bz-sh-medienvermittlung.de/wp-admin/post.php?post=915&action=edit) ist nun an den Start gegangen und wurde im Lektorat am Beispiel „Mein Atlas“ gründlich getestet. Leider fällt das Ergebnis nach einem ersten Probelauf eher enttäuschend aus:

Während die kostenlose App mit W-LAN ohne Probleme geladen werden kann, ist jedesmal, bevor Buch und App Verbindung zueinander aufnehmen sollen, ein erneutes Laden der speziellen Buchtitel-Funktionen notwendig, was immer wieder einige Zeit braucht und für die spontane Lust am Loslegen eine gewisse Hürde darstellt. Danach kann die virtuelle Reise mit dem Kameraauge auf den Seiten beginnen, was wiederum einiges an Geschick erfordert: Der Abstand zur Buchseite muss stimmen und ein geduldiges Verweilen mit ruhiger Hand ist gefragt – sonst tut sich gar nichts oder eine eben aktivierte Bild- oder Sprechfunktion bricht ab und springt schon bei kleinen Bewegungen ungewollt auf den nächsten Punkt. Kinder zwischen 3 und 6 Jahren, für die das Produkt gedacht ist, dürften damit in vielen Fällen feinmotorisch überfordert sein und werden die Informationen oder interessante Punkte eher zufällig als gezielt ansteuern.  Sie hüpfen auf diese Weise durch ein Potpourri an oft zusammenhanglosen Infos oder Bruchstücken von Bild- oder Tonsequenzen und müssen dazu das Buch möglichst auf einem Tisch oder auf dem Fußboden gut ablegen können. Fürs Schmökern auf dem Sofa oder unterwegs ist das Medium eher nicht geeignet.

Wie ein (deutlich älteres) Kind bzw. eine Jugendliche die Handhabung des Leyo-Atlas mit seinen Stärken und Schwächen aus Nutzersicht erlebt und präsentiert, wird durch diesen Film deutlich: http://m.youtube.com/watch?v=OfJqZmjoaJA (s.a. einen zweiten Testfilm zu einem anderen Titel am Ende dieses Beitrags).

Bei unseren Testläufen mit IPads ging das automatische Abtasten der Buchseite nicht ohne eine permanentes wellenförmiges „Zittern“ der Bilddarstellung auf dem Display einher, was beim längeren Draufschauen die Augen anstrengt und als unangenehm empfunden werden kann. Bleibt die Frage, wofür man diese Nachteile möglicherweise in Kauf nimmt: für verschiedene optische Bewegungseffekte mit Blick „hinter das Bild“, für ein synthetisches Glockenläuten beim Ansteuern eines Kirchturms oder für ein Wasserplätschern bei einem Schlauchboot zum Beispiel. Hier und da gibt es kurze gesprochene Texte zu einzelnen hervorspringenden Motiven. Die Spielfunktion hat sich uns bislang nicht erschlossen, weil das Öffnen während der rund einstündigen Testphase im Team nicht gelungen ist (dabei waren zwei Geräte parallel im Einsatz).

Die Hilfestellungen der App zur Handhabung fallen knapp aus. Gleich beim Start stolpert man über einen Rechtschreibfehler im Erläuterungstext und Beschreibungen wie „Tutorial“ und Bilder die „gehighlighted“ erscheinen, tragen nicht zur besseren Verständlichkeit für den multimedialen Umgang mit einem Kinderbuch bei.

Und was gibt das Buch ohne App her? Gemessen an dem empfohlenen Alter für 3-6 Jahre wirkt der Begleittext zu jeder Doppelseite wie eine Aufzählung von Klischees, mit denen viele Kinder in diesem Alter vermutlich noch nicht viel anfangen können. So heißt es zur Beschreibung von Nord- und Mittelamerika im Buchtext: „Wenn du in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten reist, wirst du aus dem Staunen nicht mehr herauskommen: einarmige Banditen in Las Vegas, die Golden Gate Bridge in San Francisco, Weltraumbahnhöfe in Florida und Riesensteaks in Texas. Tolle Musik gibt’s auf dem ganzen Kontinent: Rap und Jazz, Mariachi-Musiker mit großen Hüten und Steel-Pan-Spieler mit klingenden Blechpfannen. Und ganz oben jaulen die Schlittenhunde in Alaska…“  Welches „Amerikabild“ entwickeln Vierjährige mit solchen Informationen? Das Klischeehafte spiegelt sich in den Bildern wider, in denen ein Biertrinker mit Lederhose für „die Deutschen“ steht und die Bild-Text-Aussage für die genannte Altersgruppe insgesamt sehr oberflächlich und in vielen Bereichen unverständlich bleibt, weil die genannten Namen und Bauwerke sich allein als Stichwort oder Symbol kaum erschließen. Da wären andere Kinderbücher zu Ländern der Welt für diese Altergruppe diesem Beispiel bezogen auf die Text- und Bildqualität deutlich vorzuziehen.

Da die bislang erschienenen Bände der Leyo-Reihe sehr unterschiedlich sind, kann die Bewertung von Inhalten, Darstellung und Funktionen von Titel zu Titel durchaus unterschiedlich ausfallen.

Fazit: Die Idee, Bildteile durch eine App zu aktivieren und mit Zusatzfunktionen zu vertiefen ist prima – hier aber offenbar noch nicht ausgereift umgesetzt und in der Handhabung mehr experimentell als gezielt einsetzbar.

Inzwischen haben auch andere Büchereien in SH erste Erfahrungen mit Leyo gesammelt: Große Übereinstimmung zeichnet sich bislang bei der Einschätzung ab, dass der Umgang mit dem Leyo-Multimedia-Konzept eher für Kinder ab Grundschulalter funktioniert und interessant ist. Auch wird mit unterschiedlichen Beispielen beschrieben, dass viele Funktionen zunächst „haken“ und die Technik zwischen Buch und Betrachter so immer wieder auch als Störfaktor empfunden wird. Außerdem gibt es hier und da ärgerliche Fehler und vertauschte Sprechtexte bei der Belegung von Punkten mit Informationen. Ob die damit zu erzielenden Effekte diese Nachteile aufwiegen, kann unterschiedlich beurteilt werden.

Zum Vergleich zwei weitere Testberichte, auch anschaulich illustriert durch einen kleinen Film:

http://www.iphone-ticker.de/im-videotest-leyo-die-iphone-kinderbuecher-von-carlsen-74901/

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/bilderbuecher-mit-leyo-technik-mein-grosser-maerchenschatz-mein-atlas-a-1012756.html

 

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